Cem

Cem ist Grafik-Designer mit einer großen Leidenschaft fürs Zeichnen. Überall finden sich seine Skizzen: auf Zetteln, Briefumschlägen und Prospekten – eigentlich auf allem, was ihm unter die Finger kommt. Außerdem liest er viel, geht öfter ins Kino und auch gerne mal aus, gerade in Berlin, wo es viele Clubs gibt.

Cem kann sich noch genau erinnern, wie es war, als er vor drei Jahren nach Berlin gezogen ist: »Ich bin mit der S-Bahn am Hauptbahnhof vorbei gefahren. Da war diese riesen Brachfläche! Ich kam aus London und da war immer alles eng und kein Platz, auch in der U-Bahn: kein Platz, die Zimmer in den WGs: ganz klein. Und dann auf einmal diese krasse Weite, dieses Potenzial, diese Leere.«

Aufgewachsen ist Cem in einer Kleinstadt am Rhein. Seine Eltern sind aus dem Osten der Türkei, aus Anatolien, dorthin gezogen. Sie gehören zum Volk der »Zaza« und mussten aus ihren Dörfern fliehen, als sie in den Konflikt zwischen Kurden und dem türkischen Staat gerieten.

Cems Großeltern leben in Istanbul. Er besucht sie oft und liebt es, bei seiner Großmutter in der Küche zu sitzen oder am Meer spazieren zu gehen. Den Eltern war es immer wichtig, dass Cem und sein Bruder beide Kulturen kennenlernen und engen Kontakt zur Familie halten können.

Schon als Kind hat Cem davon geträumt, in einer Großstadt zu leben, am liebsten in New York. Er mag die Anonymität großer Städte, die Möglichkeit, interessante Leute kennenzulernen – und dass es keinen interessiert, was der andere macht, solange man nicht auffällig wird. Vielleicht ist das für Cem besonders wichtig, weil er das Gefühl hat, gleich mehreren Minderheiten anzugehören: »Obwohl ich in Deutschland aufgewachsen bin, werde ich nach außen hin als Türke wahrgenommen, nach innen hin sind wir Zaza, eine Minderheit mit eigener Sprache, eigener Kultur innerhalb der türkischen Kultur und innerhalb dieser Kultur bin ich wieder ein Sonderling durch meine sexuelle Identität, weil ich schwul bin.«

Für ihn war es ein wichtiger Reifeprozess, sich gegenüber der Familie und im Freundeskreis als schwul zu outen. Während Homosexualität in andern Kulturen offener gelebt wird, fällt türkischen, syrischen und arabischen schwulen Männern ein Coming-out besonders schwer, hat Cem in seinem Umfeld beobachtet. Viele von ihnen geben vor, bisexuell zu sein oder eine Freundin zu haben. Sie leiden sehr darunter, etwas sein zu wollen, was sie nicht sind. Cem ist jedoch davon überzeugt, dass es wichtig ist, zu sich selber zu stehen – es ist der einzige Weg glücklich zu werden.

Dennoch ist er vorsichtig und wägt ab, wieviel er von sich preisgibt. Leider gibt es auch in Berlin Menschen, die voller Hass sind und andere Lebensweisen nicht akzeptieren.